Michael Felber, Partner
Der unlängst veröffentlichte Global Risks Report 2023 des WEF zeichnet ein beunruhigendes Bild unseres Planeten: Dieser könnte nach Meinung der befragten Experten vor einer Polykrise stehen – einer Situation, bei der zahlreiche Krisen zu einer grösseren Gesamtwirkung führen als die Summe ihrer Teile.
Es ist eine Kernaufgabe des Reputationmanagements und auch der strategischen Unternehmenskommunikation, mögliche Szenarien so weit wie möglich vorherzusagen und sicherzustellen, dass die eigene Organisation im Rahmen des Machbaren darauf vorbereitet ist. Dies ist angesichts der aktuellen unsicheren Aussichten sehr anspruchsvoll, aber umso wichtiger.
«Kultur frisst Riskmanagement zum Frühstück» – warum eine risikobewusste Kultur jetzt wichtig und richtig ist
Der Umgang mit einer potenziellen Polykrise verlangt nach Risikobewusstsein. Eine risikobewusste Unternehmenskultur unterstützt gründliche Risikobewertungen, fördert eine offene Kommunikation über potenzielle Risiken und implementiert Prozesse zu deren Bewältigung. Sie begünstigt auch eine Haltung der kontinuierlichen Verbesserung, bei der das Lernen aus Fehlern im Vordergrund steht.
Im Gegensatz dazu priorisiert eine risikoaverse Kultur die Vermeidung von Risiken insgesamt. Sie stellt Stabilität und das Verhindern negativer Ereignisse über Wachstum und Innovation. Das mag zwar das Fehlerrisiko reduzieren. Gerade eine drohende Polykrise, in der sich einzelne Risikokomponenten gegenseitig beeinflussen, kann eine solche Kultur jedoch überfordern und wichtige Entwicklungen hemmen.
Konkrete Schritte zum Aufbau einer risikobewussten Kultur
Der Aufbau einer risikobewussten Kultur ist eine kollektive Anstrengung der gesamten Organisation. Voraussetzung ist ein von der Führung vorgelebtes Bekenntnis, dem Risikomanagement eine hohe Priorität einzuräumen, Transparenz zu schaffen und einen proaktiven Ansatz zur Risikominderung zu fördern.
Als zentrale Integratorin und Partnerin aller Unternehmensbereiche spielt die Kommunikationsfunktion dabei eine besondere Rolle. Sie verfügt über die Ressourcen und den Auftrag, kulturelle Veränderungen konzeptionell zu begleiten und wirkungsvolle Massnahmen im Rahmen der Change-Kommunikation umzusetzen.
Doch wo anfangen? Folgende konkrete Schritte bieten sich für die Kommunikationsfunktion an, um Initiative zu zeigen und sich als tragende Kraft im Risikomanagement zu positionieren.
Konkrete Schritte für die Risikokommunikation
Eine risikobewusste Organisation verfügt über einen Plan, der in die Gesamtkommunikation integriert ist. Dieser gibt vor, wie, wann und mit wem das Unternehmen zu einem Risiko kommuniziert, einschliesslich klarer und konsistenter Botschaften.
Falls dies in Ihrer Organisation nicht bereits Routine ist, schlagen Sie regelmässige funktionsübergreifende Meetings vor, um die Risikolage zu besprechen und Massnahmen zu koordinieren. Bringen Sie die Dimension der Reputationsrisiken und die speziellen Kompetenzen der Kommunikation dort selbstbewusst ein.
Identifizieren und bewerten Sie auf der Basis der Risikoanalyse die Hauptrisiken für Ihre Organisation, z. B. Störungen der Lieferkette, Datenschutzverletzungen und Umweltschäden. Fehlt eine systematische Analyse, finden Sie beispielsweise Unterstützung im WEF Global Risks Report, im Ipsos Global Trustworthiness Monitor, im Page Society Survey of CCOs, im Conference Board C-Suite Outlook oder im Edelman Trust Barometer.
Entwickeln Sie ein Konzept, das beschreibt, wann und wie Sie mit welchen Anspruchsgruppen über welche Risiken kommunizieren und welche Kanäle Sie dabei nutzen (z. B. Blog, Newsletter, Intranet oder Townhall-Meetings).
Identifizieren Sie wichtige Issues für die interne und externe Kommunikation, formulieren Sie Positionspapiere und Sprachregelungen. Planen Sie aktive oder reaktive Massnahmen, um diese Issues zu entschärfen.
Integrieren Sie die Massnahmen der Risikokommunikation in Ihre interne und externe Content-Planung.
Koordinieren Sie Kontakte Ihrer Organisation mit wichtigen Anspruchsgruppen, um Feedback und Bedenken aufzunehmen und den Stakeholdern Ihren Ansatz für das Risikomanagement zu vermitteln.
Konkrete Schritte zur Förderung einer offenen Kommunikation über Risiken
«Es zählt nicht, was man predigt, sondern was man toleriert» (J. Willink). Eine klare und offene interne Kommunikation fördert eine Kultur, in der potenzielle Risiken frei angesprochen werden.
Richten Sie ein anonymes Meldesystem ein, in dem Mitarbeitende potenzielle Risiken melden können und raten Sie dem Führungsteam, als Zeichen des Commitments regelmässig auf dieses aufmerksam zu machen.
Motivieren Sie die Mitarbeitenden und wichtige Anspruchsgruppen wie Ihre Lieferanten oder Ihre Partner bei Verbänden und Behörden, eine wichtige Rolle in der Früherkennung negativer Entwicklungen zu spielen und diese zu melden.
Teilen Sie regelmässig Erfolge und Misserfolge im Risikomanagement über geeignete Kanäle innerhalb der Organisation, z. B. im Rahmen von «Learning Moments» in Teammeetings. Dies trägt dazu bei, eine Kultur der Transparenz, Rechenschaftspflicht und des Vertrauens zu fördern. So ermutigen Sie die Mitarbeitenden, potenzielle Risiken anzusprechen und bauen Vertrauen auf, dass sie ernst genommen werden.
Weisen Sie in internen und externen Kommunikationsmitteln regelmässig auf verfügbare Schulungen und Updates zu Risikothemen hin.
Konkrete Schritte zur Stärkung der Krisenbereitschaft
Eine stetige Vorbereitung auf allfällige Krisensituationen hilft Organisationen, widerstandsfähiger und besser gerüstet zu sein, um selbst mehrere Krisen gleichzeitig zu bewältigen.
Führen Sie eine Krisensimulationsübung durch, um die Krisenbereitschaft der Organisation zu testen – oder einen Audit, um die Ausgangslage objektiv und im Vergleich zu anderen Organisationen beurteilen zu lassen.
Bringen Sie Ihr Krisenhandbuch auf den neusten Stand. Sollte Ihre Organisation noch über kein solches Handbuch verfügen: Entwickeln Sie eines, das den Ansprüchen Ihrer Organisation entspricht. Dieses Manual beschreibt Rollen und Zuständigkeiten, die wichtigsten Entscheidungen und Abläufe im Krisenfall sowie die genutzten Kommunikationskanäle. Ebenso enthält es Ressourcen wie Checklisten, wichtige Kontakte und Vorlagen.
Trainieren Sie die Personen für das Team, das für das Krisenmanagement und die Kommunikation verantwortlich ist. Binden Sie nach Bedarf erfahrene externe Kräfte zur Unterstützung ein. Um in einer kritischen Situation rasch und effektiv agieren zu können, muss das Team mit den notwendigen Ressourcen eng vertraut sein.
Arbeiten Sie eng mit den Risikoverantwortlichen zusammen, um Krisenpläne, Playbooks oder Checklisten, die in verschiedenen funktionalen Silos verzettelt sind, in ein integriertes Crisis Preparedness und Krisenmanagement zu integrieren. Nutzen Sie dazu die erhöhte Sensibilität gegenüber Risikomanagement und die organisatorischen Fortschritte aufgrund der COVID-19-Pandemie.
Regen Sie regelmässige gemeinsame Trainings und Simulationsübungen des Krisenteams an. So lernen alle Beteiligten die ineinandergreifenden Abläufe kennen, können Verbesserungen vornehmen und entwickeln das gegenseitige Vertrauen, um auch in einer Stresssituation harmonisch zu agieren.
Ja, eine Polykrise ist überwältigend. Aber: der Weg ist das Ziel
Gerade, wenn das Thema «Risiken» in der Vergangenheit nicht häufig auf der Tagesordnung stand, muss sich die Kommunikationsfunktion zunächst auf ein oder zwei Bereiche konzentrieren und Schritt für Schritt vorgehen. Jede Anstrengung, egal wie klein, trägt zum Aufbau einer risikobewussten Kultur bei und sorgt dafür, dass die Organisation besser auf eine drohende Polykrise vorbereitet ist.